Gratiszeitungen abschaffen – und dann?

Doris Leuthard
Sehr geehrte Frau Bundesrätin
Wenn Sie Verlegerin wären, würden Sie die Gratiszeitungen sofort abschaffen, sagten Sie am Journalismustag 2018 des Vereins für Qualität im Journalismus vor wenigen Tagen in Winterthur. Da fühlen wir uns als Verband der Schweizer Gratiszeitungen VSGZ angesprochen, verweigern Sie uns doch als oberste Vertreterin des Schweizer Medienwesens unsere Daseinsberechtigung. Damit stossen Sie nicht nur eine Vielzahl von Verlegern von Gratisblättern vor den Kopf, welche in der ganzen Schweiz hunderte von Arbeitsplätzen schaffen und ihren Teil zur Wertschöpfung in unserem Land beitragen, sie diskriminieren auch mit Ihrer unbedarften Aussage Millionen von Leserinnen und Leser, welche den Gratiszeitungen gute Seiten abringen können. Die trotz Zwangsbeitrag nicht nur staatlich geförderte Medien konsumieren, sondern gerne auch ein für sie kostenloses Informationsblatt lesen. Dies beweist eine seit Jahren stabile Leserschaft, die mit ihrer Konstanz einzigartig in der Printlandschaft steht. Diese Treue basiert auf einer Berichterstattung aus dem lokalen Bereich, der auch künftig geschätzt wird. Vielleicht ist es die in unseren Zeitungen weitgehend fehlende politische Meinungsbildung, die Sie zu Ihrem Verdikt verleiten liess, als Politikerin möchten Sie möglichst viel im Scheinwerferlicht stehen, wie Sie an der genannten Tagung verrieten. Wir bleiben jedenfalls dem Alltäglichen verbunden, schreiben weiterhin über Wünsche und Sorgen von Haushaltsführenden, das sie von unserer Mediengattung erwarten. Was wir von Ihnen erwarten, ist ein respektvollerer Umgang mit Gratiszeitungen. Dies dürfte Ihnen kaum schwer fallen, wenn Sie von der Politbühne zurück in den Alltag kehren, da wird sich Ihr Interesse an lokalen Ereignissen vergrössern. Greifen Sie dann ruhig zu einer Gratiszeitung, wir sind überzeugt, dass Sie Ihre negative Einstellung ablegen werden. Denn auch in den kostenlos verteilten Blättern wird Qualitätsjournalismus betrieben. Dies beweise ich Ihnen gerne persönlich und lade Sie in unser Verlagshaus im Zürcher Oberland ein, in dem unter demselben Dach Kauf- sowie Gratiszeitungen hergestellt werden, Texte und Bilder, die vielfach zuerst auf der Online-Plattform „zueriost“ erscheinen, weil wir – entgegen Ihren Befürchtungen – seit mehreren Jahren digital unterwegs sind. Und auch auf dem Web bieten wir Gratisinhalte und kostenpflichten Content an, weil wir nicht nur Gebühren erheben können, sondern genau klären müssen, für was die Nutzer unserer Informationsangebote zu zahlen bereit sind.
Freundlich grüsst Sie
Dani Sigel
CEO Zürcher Oberland Medien und
Präsident VSGZ
Antwort von: Doris Leuthard
Sehr geehrter Herr Sigel
Am «Journalismustag 2018» des Vereins «Qualität im Journalismus» kamen im Rahmen einer Diskussionsrunde die strukturellen Probleme der klassischen Tagespresse zur Sprache. Diese sieht sich seit längerem mit stark rückläufigen Erträgen aus dem Werbemarkt und sinkenden Abonnements-Zahlen konfrontiert. Auf die Frage, was ich als Verlegerin tun würde, habe ich geantwortet, dass ich in so einer Situation Gratiszeitungen abschaffen würde. Diese Aussage wurde als Zitat vereinzelt aus dem Zusammenhang gerissen wiedergegeben. Wie ich Ihrem Brief leider entnehmen muss, ist bei Ihnen offenbar der Eindruck entstanden, ich würde damit jene Leserinnen und Lesern diskriminieren, welche den Gratiszeitungen gute Seiten abringen können. Ich kann Sie versichern, dass dem nicht so ist.
Vielmehr habe ich auf die Tatsache angesprochen, dass viele Verlage mit Gratisangeboten ihre eigenen bezahlpflichtigen Tageszeitungen kannibalisieren. Ich war immer der Meinung, dass man journalistischen Content nicht einfach verschenken soll. Auf dieses Problem habe ich während meiner Zeit als Medienministerin mehrfach hingewiesen. Ich halte professionelle journalistische Arbeit für wichtig und wertvoll, weshalb ich es wenig sinnvoll finde, diese kostenfrei abzugeben. Die in Ihrem Verband organisierten, regionalen Verlagshäuser bauen auf ein anderes Modell, nämlich auf ein ausschliesslich mit Werbung finanziertes Gratisangebot. Dieses funktioniert offensichtlich und darüber freue ich mich. Ich hoffe, Sie können auf diese Weise noch lange einen Beitrag zur Medienvielfalt auf regionaler Ebene leisten.
Freundliche Grüsse
Doris Leuthard
Bundesrätin
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